Montag, 9. Februar 2015

Im Dezember kam der Frost



Kalte Winter

Es wurde ein harter Winter, in dem wir Schlittschuhe laufen konnten auf einem See, den es eigentlich nicht geben durfte. Noch im Sommer hatten Kühe darauf geweidet, Schwarzbunte, eingezäunt in einen Elektrozaun. Und ein Mutiger unter uns, Cornelius, hatte auf den Draht gepinkelt, einen leichten Stromschlag abbekommen. Er war der Anführer, ihm galt es nachzueifern. Ein anderer hatte es ihm deshalb nachgemacht, den Strahl zu lange draufgehalten. Sein kleiner Schwanz hatte in der Sonne getanzt, dass es eine Freude war. Schadenfroh schauten wir auf Adolph, der sich die Hose hielt. Ansonsten waren die Ferien wie immer, Cornelius bestimmte, welche Spiele wir spielten.
Dann war der Sommer vorbei, begann die Schule wieder, der Herbst brachte Nebel und Regen, die Wiesen weichten auf, die Kühe sanken ein in dem Morast und mussten eingesperrt werden in einen Stall, der sich auf einer Anhöhe befand. In der Senke aber sammelte sich das Regenwasser, die Wiese überschwemmte und auch ein etwas höher gelegenes Feld, das von dem Grasland durch Weiden und Hecken abgegrenzt war. Es dauerte bis in den späten November, bis Wiese und Feld sich zu einem gigantischen See vereinigt hatten.
Im Dezember kam der Frost, der diese graue Gegend in die Zange nahm. Schon am ersten Morgen hatte sich Reif auf die restlichen Grashalme gelegt, hatte die Weiden umschlossen, die ihre kahlen Äste wie hilferufende weiße Hände in den Himmel reckten, der sich blau über uns wölbte. Bald begann es zu schneien.
Dann geschah es, dass Cornelius verschwand. Das ganze Dorf suchte verzweifelt nach ihm. Er war zwei, drei Jahre älter als ich und einen Kopf größer. Trotz aller Anstrengung blieb er verschwunden, man fischte sogar in der Güllegrube nahe des Kuhstalls nach ihm, suchte am Strand der Ostsee, die zu jener Zeit noch nicht zugefroren war (Wochen später jedoch hätte man zu fuß bis zur Insel Poel gelangen können, zumindest bis zur kleinen Festungsinsel, die wie ein Wal vor dem Ostseeufer lag) und im Weiher des Dorfes. Auch in der nahen Stadt hingen Vermisstenmeldungen aus. Cornelius blieb verschwunden. Wir Kinder wurden nach unseren Verstecken gefragt, aber da hatten wir selbst schon nach ihm gesucht. Weihnachten nahte, Cornelius' Eltern feierten allein. Im Februar, als die Ferien begannen, hatten wir ihn schon fast vergessen. Wir liefen Schlittschuhe auf dem neu entstandenen See, spielten Eishockey, und erst wenn die sich reckenden Hände der Weiden nicht mehr zu erkennen waren, trollten wir uns nach Hause und genossen die wohlige Wärme der ofengeheizten Stuben. Aber wir waren Draußen-Kinder und sehnten uns zugleich nach dem nächsten Morgen, der wieder ein winterklarer Tag werden sollte. Niemand vermisste Cornelius. Einige von uns waren sogar froh, nun in der Hierarchie aufsteigen zu können, die unser Kinderleben begleitete. Denn wir wussten es: Cornelius war unser Anführer gewesen. Und nun begann ein harter Kampf um seine Nachfolge, der nur auf dem Eis ausgefochten werden konnte. Deshalb spielten wir Eishockey, als spielten wir um unser Leben, immer die weinenden Weiden im Rücken. Die meisten von uns hatten keine Chance, zu den Siegern zu gehören, also spielten wir am Rande eine Rolle. Trotzdem quälten alle die Kufen der Schlittschuhe wie das Eis unter sich, ritzten Risse in die Häute, schlugen die Schläger und den Puck, als gelte es alles. Es kam zu Schlägereien, von deren Anlässen wir in den nächsten Sekunden nichts mehr wussten.
Der Winter währte lange in jenem Jahr. Als der Schnee schmolz, der Aprilregen Dorf und Landschaft in Dunst und Nebel legte, dehnte sich der See auf der Weide noch aus, gelangte er fast bis zum Kuhstall. Sumpfdotterblumen blühten an seinem Rand sattgelb neben rotfarbenem Klee. Im See jedoch waren Gräser und Kräuter ertrunken.
In dem sich anschließenden warmen Frühling und heißen Sommer erlebten wir nur die salzige Ostsee, nahmen jedoch besorgt das Schwinden unseres Schlachtortes wahr. Aber es blieb noch genügend Fläche für den nächsten Winter, der ein trauriger wurde. Es fiel kein Schnee, nicht einen Tag. Zwar fror der See auf der Weide noch einmal zu und wir konnten unsere Schlachten schlagen, aber der Weg dorthin führte nun über Minenfelder voller Maulwurfshügel, die sich bis an den Rand des Sees erstreckten, und der wenige Reif, der sich morgens an die Grashalme presste, machte keinen wirklichen Winter. Er verschwand auch, als hätte es ihn nie gegeben, sobald die Sonne ihn fort warf.
Inzwischen hatte sich Adolph als Anführer durchgesetzt, den wir akzeptieren mussten, obwohl er keine Ideen hatte, nur Muskeln. Eishockey mit ihm zu spielen, war, als würde man rodeln gehen. Alles wurde so vorhersehbar: Adolph bekam den Puck, Adolph schoss die Tore. Ich bekam immer weniger Lust, zu unserem kleinen See zu gehen. Mit Cornelius war es schon schwierig genug gewesen, einmal ins Spiel zu kommen, aber nun stand ich nur verzweifelt am Rande. Die Weiden reckten immer noch ihre dünnen Hände gen Himmel, schon fast vom Wasser befreit, die Thermometer zeigten immer noch Temperaturen von unter 10 Grad, aber mich fror. Ich begann, den Winter zu hassen, obwohl ich ihn liebte.
Dann wich der Reif, dann wich die Kälte. Jimmy Hendrix hörten wir im Radio, all along the watchtower, es war ein orgiastisches Erlebnis, eine Gitarre, die uns Tränen trieb, und es wurde ein ungewöhnlich warmer Frühling, der früh einsetzte. Der See auf der Wiese schrumpfte merklich, irgendwann blieb nur eine Pfütze, auf deren Fläche wir im kommenden Winter kein Eishockey spielen konnten. Es waren vielleicht zwei mal zwei Meter Wasser, an der tiefsten Stelle der Senke, Adolph sah seine Favoritenstelle schwinden. Unsere Karriere als Eishockeymannschaft schien vorbei. Plötzlich sahen wir die Leiche, die sich deutlich vom wieder wachsenden Gras abhob. Er war ja nicht weiter gewachsen, sein Körper war fast verwest, inzwischen waren wir fast genau so groß wie er und wussten, dass Cornelius in dieser Pfütze lag. Sein Kopf war gespalten, offensichtlich verursacht durch Schlittschuhkufen, denn die Einkerbungen durchzogen den gesamten Hinterkopf in Doppelspuren. Wir mussten mehrfach über seinen Schädel gefahren sein und hatten nicht einmal bemerkt, dass wir auf ihm Eishockey gespielt hatten. Und man sah, dass sich nichts mehr unter den Knochen befand. Sein Schädel war nur noch eine Höhle für Fische, aber in diesem Tümpel gab es keine. Wenn es hier einmal Aale gegeben hatte, so waren sie beizeiten über die feuchten Wiesen geflüchtet.
Es hatte etwas Komisches zu wissen, dass sich Cornelius' Gehirn in Nichts aufgelöst hatte. Und auch die Macht, die er über uns ausübte, als er noch lebte. Adolph stahl sich davon. Er wusste, dass auch seine Macht schwand. Wir aber bekamen ein Leben danach.

Flüstern des Windes

Foto: (c) LiLa



Meerhauch

Ich roch das Meer, ein Hauch
Von Zigaretten, Blut,
Flüstern des Windes,
Ich war nicht dort, wo
Es passierte, ein Kind.
Die Finsternis entkam
In einer Autoflut.
Das Eisen lag auf
Meinen Lippen, wo
Entkam ich
Diesem Kniefall,
Dem man nicht
Entkommt.

Sonntag, 1. Februar 2015

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