Samstag, 31. Mai 2014

längst erloschen geglaubte stimmen




Forgotten years

Aus dem krebskranken rachen des rundfunkempfängers
Heulen längst erloschen geglaubte stimmen
Parolen des präteritums.
Mit dem blick in die welt schmähen
Fremdartige männer dem israeliten
In mir: die angst vor dem schrei –

Schnee beschützt meine spuren
Vor den blitzen des tags.
Der apfelbaum kindsein gedeiht
Neu zwischen mauer und schützengraben.
Träume reifen heran in den himmel
Gegen ward diese nacht mir zu lang.

Freitag, 30. Mai 2014

passions obsessions



 passions  obsessions
        für g.& g.

verschlungenen weges zum bahnhof
der träume gewandt: zug um zuge
nicht mal der dampfwagen stößt meerrauch
aus dem bauche der kleinstadt.

für'n groschen freunden den gruß
zwischen schultern gebeugt bis
land flieht, länder fliehn
und fort aus dem auge, dem sinnen.

gekreuzt gramsens gang
mehreres daseins lang am fuße
des sees und der seher.

vertret mich zwischen die gleise:
es leben da augen verlorn
zwischen den schwellen der angst.

Dienstag, 27. Mai 2014

aus: Der zugefrorene Traum (2013)



 Sonst kommen Wölfe über das Land. 

Wie sie über das Land kamen. Und uns Wunden rissen. Indem sie fortgingen, werden sie kommen und Wunden reißen in die Universen der Hiergebliebenen und sie vernichten. Die Lügen und Lächeln. Wir wollen Vereinigung und kopulieren in Gedanken mit den Mächtigen dieses Lands. Don’t cry for me. Germany. Schau, dass du nicht dein Ego aus den Kühlschränken der Geschichte herauspolkst. „Lieber Genosse Honecker“, schreibt Schabowski: „Lieber Genosse Honecker.“ Ist das bereits System. Duzten sie sich nicht. Alle kennen seinen Vornamen: „Lieber Erich, keine besonderen Vorkommnisse an unserm Nationalfeiertach“, hätte er schreiben können, aber Schabowski schreibt: „Lieber Genosse Honecker.“ Und die Details, die Zuführungen vom 7. und 8. Oktober, die Revolver der Treiber an den Schläfen der Getriebenen und die Gummiknüppel wie erigierte Schwänze, nur größer und schmerzhafter, aber so männlich, gewaltig, so ungnädig gegen die in Ungnade gefallenen Protestierer und -tanten, die einzelnen Provokateure und massiven Hetzveranstalter erwähnt Schabowski nicht in seinem Schreiben an den lieben Genossen Honecker. Aber sie bekamen den Phallus des Herrn zu spüren auf ihren Häuten, vom Gegner gelenkt die Schläge nach exakten Plänen der Stasi. „Waidmanns Heil!“, gröhlte Mielke nach der Jagd und freute sich über die vollen Gefängnisse.


„Antisozialistische Kräfte“, hieß es offiziell. Und sie wurden geschleift, dass die Häute rissen und der kleine Tod, der schleichende, eintrat in die Blutbahn und das Sterben begann, das Sterben der Hoffnungen, der Gesellschaft, deren Tod vorausgesagt war. Und der senil lächelnde Chef, Mielke. Spanienkämpfer aller Länder: vereinigt euch in Mielkes Büro. „Da habt ihr euern Feind.“ Da habt ihr. „Ich liebe euch alle. Ich.“ Argus. Warm ich. Warum. Warum Mielkes Büro. „Keine Überraschung zulassen“, Ausrufezeichen, „dem Gegner“, Ausrufezeichen, „keine“ Ausrufezeichen, „Chance lassen“, „keine Möglichkeit“, Ausrufezeichen, „geben, dort aktiv zu werden!“ Punkt. „Wo er“, Punkt, „annimmt“, Ausrufezeichen, „dass wir“, Ausrufezeichen. „Ich wiederhole“, Doppelpunkt, „wir“, Ausrufezeichen, „da“ Punkt, „Wiederholung da nicht“, Unterstreichung, „sind“. Und Mielke. Mai arisch. Lächle Bajazzo. „Ich liebe euch doch alle. Ich bin doch unschuldig. Was soll die Treibjagd.“ „Alle inoffiziellen Mitarbeiter kommen sofort in den Einsatz, wenn es ernst wird.“ Wer sind sie, die inoffiziellen Mitarbeiter der Stasi. Die Klofrau vom Alex. Der mürrische Nachbar in der Nachtbar, Chausseestraße, Ecke Invaliden, die nach exakten Plänen planten. „Keine Überraschung zulassen.“ Ausrufezeichen. „Dem Gegner keine Möglichkeit geben“. „Die feindlich-negativen Personen observieren“. Und abservieren. 

Montag, 26. Mai 2014

aus: schneezu


Schattender Sommer

Vielleicht geht ja doch noch
Der tresor auf
Mit liebesbriefen
Der toten vom friedhof
Über den ich flaniere im schnee.

Oder der maskenmann schleicht
Durch die dünen zum strand.

Oder ist überall nur stoff drin
Aus dem träume gemacht.

Das bild meines freunds
Hängt an geheimer stelle
Im unruhigen zimmer.

Aber der maskenmann zückt
Sein feuerzeug.

Oder das ferne lachen verhallt: ein schrei
Aus flammen, die lange schatten ziehn.

Fontänen eisigen wassers
Spiegel schatten schwertschwingender
Mann ohne unterleib
Schwertschwingender sommer
In dreiecksbadehose
Ohne schatten – ein es.

Ein schreck in verglüh’nden gesichtern.
Oder der maskenmann ohne unterleib
Wäscht seine dreiecksbadehose im schnee
Des vorjahrs fort.
Vielleicht geht ja doch noch
Der tresor auf
Oder die dreiecksbadehose im schnee.

Oder das bild meines freunds hängt
Nicht an geheimer stelle in meinem zimmer.

Oder es hängt vor der wohnungstür.
Daneben ein hässlicher aids-spruch
Neidischer nachbarn.

Oder der wilde westen wird
In den osten verlegt / auf die intensivstation wo schon
Der maskenmann in seiner dreiecksbadehose
Mich angrient / sein feuerzeug zückt.

Warum sind es die neuen träume
Die die alten zerstörn.

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