Montag, 5. Mai 2014

Weimar

Weimar, Theaterplatz


Gegenüber dem Nationaltheater – in einem Pavillon – präsentiert die Stadt die Bauhausausstellung. Ich stehe vor einer Vitrine nahe dem Eingang. Mein Blick fällt auf ein Faksimile aus dem Jahre 1919. Es ist eine bittere Beschwerde über die nationalistische und antisemitische Stimmung in dieser Stadt, in der die Bauhaus-Gründer Gropius, Itten und Co. eine freie Denkfabrik der Kunst erträumten, die sich massiv gegen Lehrer und Schüler des Bauhauses richtete.
Gerade war die Weimarer Republik gegründet worden. Die Hetzjagden begannen und führten schließlich dazu, dass die Schule nach Dessau umzog. Der Geist der Ewiggestrigen aber blieb. Hier führte die NSDAP 1926 einen ihrer ersten Parteitage nach der Neugründung durch. Hier wurde der Ettersberg gerodet und ein Konzentrationslager gebaut. Dieses Lager taufte man "Buchenwald". Und als es befreit wurde 1945 schickten die Alliierten die Bewohner der Stadt durch das Lager. Unbegreifliches sahen sie. Leichenberge. Zu Skeletten abgemagerte Menschen in Häftlingskleidung. Unten, auf dem Theaterplatz standen Goethe und Schiller.



Oben auf dem Ettersberg lagen die Leichen. 


1987 fuhr ich mit Schülerinnen und Schülern in diese Stadt. Es machte den Halbwüchsigen, die gerade die Jugendweihe gefeiert hatten, nichts aus, in den ehemaligen SS-Baracken auf dem Ettersberg zu nächtigen, die nun zu einer Jugendherberge umgewidmet worden waren. Wir entdeckten die Gegend rund um das Lager und ließen uns auf einem Hügel nieder. Eine scheinbar unschuldige Gegend unweit des Quartiers. Nur wurde ihnen mulmig, als sie erfuhren, dass Tausende und Tausende Menschen den Stalinschen Terror im selbigen Lager nicht überlebt und direkt unter ihnen, dort wo sie saßen und schauten, verscharrt worden waren. Nichts ist, wie es scheint.
Und wir als am Abend des 20. April in der Weimar-Halle die Neonazis öffentlich feiern sahen und hörten, das Heil-Rufen und die erhobenen Hände, meldete sich der Widerstand in uns. Einige Mädchen wurden zu laut, so dass die auf der Empore uns drohten. Nachdem wir die Halle verlassen hatten, begann ihre Hetzjagd. Zehn, vielleicht zwölf der Feiernden folgten und trieben uns durch die dunkel gewordene Stadt. Wir nahmen nur die Beine in die Hand und flohen in den bereit stehenden Bus, fuhren in die SS-Baracken. Am nächsten Morgen war jeder Hügel für meine Schülerinnen und Schüler ein Leichenberg. Lange Zeit.

Die Ortsgruppe hat Zeichen gesetzt zu den diesjährigen Europawahlen, sehe ich. An den Laternen prangen ihre Plakate, schön ordentlich, alle in derselben Höhe. Fünf Plakate der NPD, dann fünf Plakate der FDP, dann fünf Plakate der NPD. 
Wer glaubt an Zufälle in dieser gespaltenen Stadt.

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