Sonntag, 18. Mai 2014

aus: Der zugefrorene Traum (2013)



Die Möwen fliegen über den Strand hin zum Eiland 

inmitten der Lübecker Bucht. Und du liegst am Strand und sonnst dich, der kalte Winterwind macht dich frösteln. Aber du sitzt auf dem angestammten Baumstamm, lang ist die Sonne hinter dem Dorf aufgegangen. Sie kommen dich holen. Du hörst ihre Rufe, ihre Schritte. Du schweigst. Sind dir die Worte genommen. Die Schläge brennen nicht auf der Haut. Und ein höhnendes Lachen hallt in dir nach.
Decken haben sie mitgebracht, die Schläge werden folgen, du bist dir sicher. Die Angst weicht nicht von deiner Seite. Aber der heiße Tee tut dir gut, den sie aus einer Thermoskanne in einen Becher abfüllen und dir reichen. Sie umstehen dich, und es ist fast das halbe Dorf. Die Schwester hinter den massigen Leibern der Erwachsenen feixt. Auch daran wird sie sich später nicht mehr erinnern. David, der ein Jahr jüngere Freund, hat einen erkennenden Blick. Er läuft zu dir und bietet dir seine warmen Hände an.
Ganz ruhig liegt die See da, wie erfroren, nur an deinen Füßen lecken zärtlich-kalt die Wellen. Sie scheinen etwas müde geworden zu sein nach diesem stürmischen Herbst, in diesem schneelosen Winter, bahnen sich ihren Weg nur mühsam gegen das steinverkrustete Ufer. Du willst einen Stein aufnehmen, der sieht aus wie Bernstein im Wasser, aber dein Körper ist ganz durchgekühlt. David nimmt ihn für dich. Du versuchst, nicht auf die Erwachsenen um dich herum zu schauen, du siehst nicht auf die Schwester. Du siehst hinüber zur Insel Walfisch. Scheinbar reißt sie das riesige Maul auf, aber es ist doch nur die Steilküste. Nach Osten hin wird das Eiland ganz schmal, dann verschwindet es im Wasser. Der Leuchtturm schweigt von der Nacht.


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