Freitag, 16. Mai 2014

aus: Der zugefrorene Traum (2013)




„ICH WARTE“,

 sagtest du laut in die Leere deiner Wohnung, „wieder und wieder, auf meine verkommenen Freunde, auf meine verlassenen Freunde, auf meine Sehnsucht, auf meine Einsamkeit, die mich beschleicht.“ Ihr wart schon lange fort, wieder in der Stadt. Der Sommer lastete schwer auf dir. Du hattest ja endlich diese Wohnung bekommen, dich eingerichtet. Aber um welchen Preis. Der Vormieter gehörte zu denen, die man aus dem Land gewiesen hatte 1988 im Januar. Nur deshalb hattest du diese Wohnung, ein Zimmer, Küche, Bad. Und sie reichte notfalls für zwei.
Ich warte ein Jahr, dachtest du. Und die Möwen fliegen über die Mauern. Lang wird mir die Zeit, auf meine verlassenen Freunde zu warten, auf deren Gerüche, die ich vergaß zwischen den Winden des Nordens und des Südens. Ich warte auf dich. Ich warte auf mich. In den Unterführungen brennen Kerzen, grinsen Wasserlachen. Die Reklameschilder werden zu Altären. Dein gedenkend, den ich nicht kenne. In den Überführungen wehen die Ostwestwinde. In den Überführungen werde ich überführt, während ich noch auf dich warte. Uniformierte halten mir die Händchen und grinsen mich lüstern an. Ihnen gefällt mein einsames Lächeln nicht, das hilflos und lautlos nach dir schreit. Die Uniformierten grinsen. Sie lächeln nicht. Ihr Grinsen schreit mir ins Gesicht. Und ihre Verachtung für mich. Und meine Verachtung für sie tarnt sich unter den Lidern der Augen. Und sie zerren mich in ihr Auto. Schwules Schwein. Dreckskerl. Dir geben wir’s.
Und sie zerren mich. Sie zerprügeln mir meine Sehnsucht und meine Stille. Sie zerlachen mir meinen Traum. In meinem Albtraum: schwules Schwein. Und die Polizeiknüppel prallen von meinem Körper ab. Meine Hoffnungen verwehn. Meine Wünsche zergehn. Mein Schmerz flieht. Meine Liebe zertrampelt. Daran erinnert Groth sich: Wie sie plötzlich anhielten, er kam gerade aus einer Kneipe, die in der halben Stadt einschlägig bekannt war. Die Polizisten fuhren in ihrem Wartburg vorüber, langsam, als wollten sie sich dein Gesicht einprägen. Und als du durch diese schlecht beleuchtete Straße gingst, hielten sie plötzlich. Sie ließen dich am Leben.

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