Mittwoch, 26. März 2014

Eine Geschichte aus: "Von der kindhaften Farbe des Rittersporns"



Letzter Tag

(Silvesternacht 1989)

Am schon grau gewordenen tag im grau gewordenen jahr der siegreichen revolution schwimm ich mit dem strom. Die kneipen sind geschlossen. Oder sie feiern wieder. Wartend auf das versinken des graus: Ich ruhe in mir selbst. In der u-bahn singen sie. Deutschlands himmel breitet seine sterne. Nazis raus. Dabei heben sie die arme. Sie grölen. Sie werfen blitzknaller unter die sitze. Sie sind allein im waggon. Ich sehe sie wie im film. Durch die glasscheiben. Ein sektkorken fliegt. Roter sekt (warum ROTER) spritzt aufs linoleum. Sie lachen. Sie freuen sich. Bald geht es zu neuem kampf hinaus die heimat ist.
Die u-bahn fährt durch die unbeleuchteten tunnel. Station schilling-straße. Bei der ausfahrt sehe ich menschen um einen betrunkenen lagern, oder ist er schon tot. Weit. Und wir sind bereit. Sie freuen sich. Nach der einfahrt in den bahnhof alexanderplatz will ich schnell an den noch ungeöffneten türen des nachbarwaggons vorbeikommen. Für dich. Freiheit. Sie singen wieder. Das blut pulsiert in mir. Wieder mache ich mich schuldig, wieder und wieder. Angstvoll. West- und ostberliner gehen an mir vorbei.
Später werden wir uns in den armen liegen. Später, Langsam trete ich das pflaster breit. Um nicht zu früh zu kommen. In der zu spätgekommenen revolution. Liegt das glück nicht auf der straße. Am fernsehturm wechselt ware gegen geld: ein kellner reicht sekt hinauf. ACID. HOUSE. Unter den linden.
Langsam kommen die massen in bewegung (die trägheit der masse) neben der coca-cola-büchse vor dem zaun am brandenburger tor zunft-köisch. Mister youngblood grölt, stöhnt, wimmert. konserviert. reserviert bewegen sie sich.
Während Ich tanze. Erklettern die fanatiker das brandenburger tor. Sie reißen hammer und sichel mit dem erichkranz aus der bundschuhfahne der bauernrevolutlon. sie zeigen triumphierend die trikolore des neuen verbündeten warum. sie rufen deutschland. deutschland. über helmut.
Wir hören nicht hin. (WIR ?) Und wieder mach ich mich schuldig. Nie wieder deutschland. Ruf ich den entgegenkommenden zu. Kein lächeln.
Ein schwuler junge tanzt mit seiner dicken mama. er lächelt über die köpfe hinweg. Er lächelt mir zu. Er lächelt durch mich durch. Während ich tanze. Inzwischen beginnen sich die schraubverbindungen der videowand zu lockern. Der turm schwankt. Oben grinsen jungs. Unten tanzen sie. Hunderttausend wollen auf die mauer. Hunderttausend wollen aufs tor. Hunderttausend wollen durch mich durch. IF ONLY I COULD. Eben sind die raketen geplatzt über berlin. Eben sind meine träume geplatzt.
Die blaue fahne mit dem sternenkreis weht mir voran. Die blaue fahne zu blauer stunde. Urplötzlich fühl ich mein blut. Im scherbenhaufen blinkt es. Urplötzllich fühl ich den schmerz. Sie schauen mit leeren augen zum himmel. Keine rakete zerplatzt mehr. Aus meiner platzwunde platzt blut. Ich taste. Keine platzwunde. Ein krater. Das blut rinnt in den scherbenhaufen.
Nach so vielen jahren erniedrigung erkennt der mensch sich selbst. Und blut ist ein besonderer saft.
Das jahr eins der deutschen demokratischen revolution bringt uns in die neunziger jahre. Mein herz blutet aus. Während mich niemand beachtet brech ich aus dem menschenpulk aus. Mein heimweh führt mich heim. Die videowand am brandenburger tor wankt. Trunkenes schiff. Sie wird einstürzen. Ich weiß es. Und ich weiß: Es ist die falsche richtung, in die ich geh. Aber die falsche richtung ist mir vertraut wie selten etwas. Morgen wird niemand wissen, daß ich unter den tanzenden war. Jedem reicht der tag nur für sich selbst.
Meine erinnerungen schwinden. Ich denke an mein vielfarbiges, unwirtliches, ruhiges leben. In berlin. Das an größe und erbärmlichkeit gewonnen hat. Drüben kracht endlich die videowand zusammen. Begräbt die tanzenden. Unter denen ich war. Nicht bin. Diesseits: THE GREAT GATE OF BERLIN. Grinsend schaun mich schaulustige an. Schon wieder so ein besoffener. Liegt mitten im scherbenhaufen. Der Geschichte. Dieses lands. Nie wieder deutschland. Quäle ich heraus. Es ist nacht.
                                                                                                                                                1990

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