einmal paris sehen und zurück
für michael und dagmar
deines.
und meines. ich mache meine reise im kopf. du setzt dich in den zug. je suis. je vous. mein bilderbuch auf
den knien. und meine bibel: wie erobert man eine stadt. erinnre dich davids.
vor der burg zion. drauf und ran. glaub nur fest an dich: als dem sieger der
schlacht. hinter dem panthéon. wo die leichen frankreichs leiden. wo die
geister das lachen bekommen. stürme ich zion. im kopf. du nimmst die beine in
die hand. blind und lahm. sehe den speer nicht, der mir den tod bringen wird.
david gewann die burg zion. während die leichen um ihn gebreitet lagen. während
die lahmen und blinden sich vor ihm versteckten: die heimlichen krieger. die
überlebenden. sie werfen den speer aus dem hinterhalt. sie schießen mir mein
geschlecht ab: getroffen. verwundet. vorm panthéon: dem friedhof der größten
franzosen. so löst sich der rauch in rauch auf. der eroberten stadt. während
die wunden verheilen. während die wunden verhallen. während die blinden und
lahmen die stadt präsentieren. wirst du ihnen hinterher hinken. links ein
lächeln von christian dior (30. avenue montaigne), hin zum place de vendôme.
laß mich. die wunden der stadt sehn. endlich paris sehn. endlich land gewinnen.
mit davids schlachtplan im kopf: drauf und dran. nur so erobert man eine stadt.
stadtplan erinnerung: aus der geteilten, ummauerten, stacheldrahtverhauenen,
umgangenen, gefluteten, unheiligen, umkämpften, belauerten stadt, berlin, hin
zum nabel der weit. liberté, egalité,
fraternité. wiege europäischer freiheit. paris. ich war schon immer franzose.
russe. amerikaner. spanier, olé.
mexikaner. deutscher. deutscher. deutscher. laß die blinden von paris erzählen,
sanftmütig, lächelnd. vom besteigen des eifelturms. dem phallus der stadt. laß die
verwundeten ruhn. sieh durch ihre augen. sieh madam vichy. kämpfend gegen den
stadtplan davids. nicht mit eroberten waffen erobert man rom. und paris. nicht
mit kanonen auf spatzen. laß nicht david von paris erzählen. er kennt nur seine
schlachten und die zweitausend und aber zweitausendjährige erinnerung an das
strömende blut der verwundeten und der toten. david kennt nur seine schlachten
und die wenigen nächte nach der verheißung vom königreich seines samens: die
eroberer sind sämtlich gestorben. laß nicht david erzählen. den alten könig der
juden, den einer des reiches. dessen waffen im sonnenlicht gleißten. beim sturm
auf zion, der stadt davids. laß die lahmen von paris erzählen. gemächlich.
während ich im herbstlichen deutschen stadtpark auf der weißgestrichnen bank
sitz. während wir noch denken unser leidiges land, das noch leidet unter den
stiefeltritten, den schminkversuchen. den delegationen und delegierten. den
stets roten ampeln auf der greifswalder straße. während du mit den blinden und
lahmen paris abschreitest, wie der staatsmann die front. am flughafen. auf dem
roten teppich. dreimal gehst du ums quartier latin. entziffernd die alten
Inschriften. französisch. deutsch. deutsch. das verblichene foto der passante du sans-souci. in der nähe des königstors.
oder woanders. wie sagten die daheimgebliebenen: grüß uns madam vichy. am
quartier latin. während du niemanden kennst in der lebvollen stadt. grüß die
superlangen Fingernägel bekannterweis. vergiß mir meine sehnsucht nicht. füge
ich hinzu. vor der abfahrt. bitte zurücktreten. von der bahnsteigkante. während
wir leiden an der kalten revolution. sitzt du auf dem beheizten trottoir. des
bistros. und trinkst tee. mit rum. und baumelst mit den beinen. und bist am
quartier. beim kulturzentrum. deines landes. das keinen text kennt. seiner
nationalhymne. und endlich wieder seinen text kennt. um die ecke wohnt madame
vichy. la passante du sans-souci. so
denk ich sie mir. nach den beschreibungen. hinter der schönen fassade. ein
freundliches lächeln. hast du dein fremdsein endlich überwunden. in der
fremdhaltigen stadt. und du denkst noch: vichy. vamp. volière. die ulkigsten
vögel: warum gerade ich. da klingelst du. bevor die große flügeltür sich
öffnet: ein blick ins beschlagene glas. ulkiger vogel. gedenkend der langen
fingernägel der madame vichy: guten tag. ich wollte am museumsstück der stadt
paris nicht vorbeigehen. wie schafft sie es nur, die tür zu öffen. da endlich
ein schnurren. französisch. je ne parle francais.
schönen gruß aus berlin. ein freundliches lächeln. ein freundlicher talk. ein
freundlicher kaffee. das ist sie also. das ist sie. ich hatte noch zeit: der
zug geht in vier stunden. die tage sind schon kalt. in paris. auf beheizten
trottoirs. vor den bistros. sitzen die männer. madame vichy zeigt ihre krallen.
mordwerkzeuge. david ist fortgeblasen. davids schlachtplan. davids stadtplan.
ausgelöscht. wie besiegt man eine stadt. in der man fremd ist: indem man
menschen aufsucht. nicht memorials: nicht das panthéon. von den toten zu den lebendigen
helden. von der einsamkeit in die einsamkeit. zehn dolche. harmlos eingezogen
in der hand der frau. wo haben sie denn ihre krallen her. aber das sind so bilder.
wie die junge frau im keller sitzt. der gestapo. eiskalten augs? für eine
liebe. für ein zerbombtes land. nicht so heroisch. bitte. nicht davids manier.
keine eroberung, bitte. zeig mir die instrumente, bevor ich gesteh. wie erobert
man eine stadt. bevor der zug heimfährt. ein kalter blick der besatzer: madame! parlez-vous francais? je ne parle.
dein blick reicht nicht soweit zurück. er reicht bis zur revolution: deren
erinnerung unter strafe steht. der keller der gestapo. die leisen helden der
geschichten. mach dich nicht lächerlich. wo haben wir das schon einmal gehört?
die gefangenen von hohenschönhausen. die folterungen von timisoara. die
schlachtungen von sibirien. was sind hundert jahre. im leben der menschen. ein
wind. hauch vergeht. je ne parle.
hinter der wand hör ich das schreien der gefolterten. das kleine blonde
mädchen. hockt in der ecke. wenn sie sie jetzt holen. wenn sie sie jetzt
anfassen. sie trägt ihre waffen. in der geballten faust. die handballen bluten.
während sie das licht durch die türschlitze scheinen sieht. gleich holen sie
sie. gleich fassen sie sie an. sie will sich wehren. sie ist ganz katze. sie
sitzt auf dem sprung. fauchend. wild. sie wird ihnen die augen auskratzen. ich
will die philister in deine hände geben, spricht der herr. das ist, als david
die stadt zion belagert. david belagert paris. david gegen goliath. sein
heldentum ist bis in die kleine zelle gedrungen. ich will die philister in
deine hände geben. david ist auf dem sprung. das mädchen, das einmal madame
vichy sein wird, sitzt in der ecke, geängstigt durch schwarzuniformen, deutsche
eroberer. die werden jetzt heimgeschickt. ins reich. david vertreibt sie aus
dem gelobten land. einen wird sie vernichten. mit ihren krallen: werd ich je
wieder hier rauskommen, sollen meine fingernägel wachsen. und wachsen. bis sie
von schüssen erwacht. auf dem sprung. fauchend. ist sie frei. gegen die
vergangenheit. die festung erstürmt. der wehrgang genommen. der herr hat meine
feinde vor mir voneinander gerissen, wie die wasser reißen. spricht david. und
nennt seine stadt paris. und läßt die trikolore auf dem panthéon wehen. die
waffen gestreckt. sieger. besiegte. nie wieder ohne waffen. wehrhaft. wahrhaft.
und die waffen der vichy wuchsen. und sie wuchsen. die gegen die. das ist keine
frage der deutschen. die verschwanden. die ließen nur ihre götzen zurück. und
ihre bilder. und ihre bilder. gegen den tod vor der zeit gibt es die waffen: em
pie und skalpell. und superlange fingernägel. mit dem lächeln der frau. du hast
sie gesehen. wir haben gehört. unsere reise im kopf ist beendet. fahrplanmäßig.
hält der zug. bahnhof zoo. friedrichstraße. david ist dort geblieben. sein
schlachtplan aufgeschrieben. das zweite buch samuel. sein stadtplan im kopf.
verworfen. das lächeln von christian dior verweht. madame vichy: die ist wie
cognac. schärfe schmeckt aus dem magen. das ist paris. im kopf. gegen die
keller und türme: garçon! je ne parle.
1988
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